„Während die körperliche Entwicklung des Kindes seinem Alter entspricht, sind seine intellektuelle/kognitive Entwicklung und seine ganze soziale, kommunikative und emotionale Entwicklung stark verzögert“ schreibt Sibylle Janert im Vorwort zu ihrem Buch „Autistischen Kindern Brücken bauen“.
Aber gerade in der frühen Lebensphase werden die Weichen für die intellektuelle und soziale Entwicklung gestellt. Dies gilt für autistische Kinder genauso wie für Kinder ohne diese Besonderheit. Die Frühförderung von Kindern mit einer „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) ist daher von entscheidender Bedeutung.
Wie kann sich Autismus bei Kindern äußern?
Am ehesten ist Autismus in den Bereichen Kommunikation und soziale Interaktion erkennbar. Schwierigkeiten, Blickkontakt herzustellen oder kein Interesse an Gleichaltrigen und Erwachsenen ist eines der Merkmale. Auffällig ist die verzögerte Sprachentwicklung oder überhaupt das Fehlen von Sprache. Wenn das autistische Kind spricht, dann nicht, um zu kommunizieren, sondern es werden vielmehr Wörter und Sätze werden nachgesprochen (Echolalie). Wiederholte Bewegungen (z. B. Hin- und Herrennen, Schaukeln, Hüpfen oder Drehen) oder das beharrliche Festhalten an bestimmten Routinen sind typische Verhaltensmuster.
Veränderungen in der Umgebung können zu Stress führen und lautes Schreien oder Wutanfälle auslösen. Verhaltenstypisch bei autistischen Kindern ist ein auffälliges Interesse an bestimmten Themen oder Objekten. Und das oft in einer sehr intensiven Weise. Mein Enkel mit Asperger-Syndrom zeigte beispielsweise ein intensives Interesse an Kirchenglocken. Er zeichnete stundenlang Kirchtürme mit Glocken oder sah und hörte sich am Tablet ausdauernd Glockenläuten an und war nur mit Mühe davon abzuhalten, bei jeder Kirche den Glockenstuhl zu erklimmen.
Autistische Kinder haben oft Schwierigkeiten, Emotionen zu erkennen und selbst Emotionen auszudrücken beziehungsweise ist ihre Reaktion auf emotionale Situationen untypisch oder schwer zu deuten. Eltern sollten derartige Anzeichen beachten und frühzeitig fachärztlich oder psychologisch abklären lassen. Denn je früher Fördermaßnahmen einsetzen, umso eher können Entwicklungsdefizite vermieden werden.

Wie kann Interaktion mit autistischen Kindern aufgebaut werden?
Sich auf neue Situationen einzustellen, fällt autistischen Kindern sehr schwer. Sie profitieren daher von Routinen, klaren Strukturen und vorhersehbaren Abläufen und regelmäßigen Ritualen. Ist absehbar, dass gewohnte Abläufe nicht eingehalten werden können, bereiten Sie das Kind einfühlsam und möglichst lange vorher darauf vor. Bilder, Symbole oder auch visuelle Zeitpläne vermitteln anschaulich Informationen und unterstützen die Kommunikation zwischen autistischen Kindern und ihren Bezugspersonen. Gestalten Sie die Sprache in Ihrer verbalen Kommunikation klar und einfach. Vermeiden Sie Metaphern und komplexe Ausdrucksformen. Hintersinnige und zweideutige Äußerungen sind bei autistischen Kindern nämlich völlig fehl am Platz. Dafür fehlt den Kindern jegliches Verständnis und den meisten fehlt in diesem Bereich auch der gängige/weit verbreitete Sinn für Humor.
Es ist wichtig, auf nonverbale Signale und Reaktionen des Kindes zu achten. Diese zu deuten, ist oft nicht so einfach und erfordert ein hohes Einfühlungsvermögen. Autistische Kinder haben zumeist für ein bestimmtes Thema ein starkes Interesse. Dies aufzugreifen und mit dem Kind zu teilen, ist ein guter Einstieg in die Kommunikation mit jungen Autist:innen und bietet die Chance – neben dem interessierenden Thema – auch nach und nach in andere Bereiche einzutauchen. Wie überhaupt im Umgang mit autistischen Kindern, ist insbesondere bei der Kommunikation Geduld gefragt. Geduld ist der Schlüssel zum Erfolg und ist Voraussetzung, um eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Kommunikationsfördernd sind einfache Brettspiele, Rollenspiele oder sonstige, dem Entwicklungsstand des Kindes angepasste Aktivitäten.
Problemzone Bildschirm
Mobiltelefon, Laptop und Fernsehgerät üben auf autistische Kinder eine noch stärkere Faszination aus als auf Kinder mit einem regelrechten/gesunden/problemlosen/regulären Entwicklungsverlauf. Für autistische Kinder kommt erschwerend hinzu, dass Bildschirmgeräte sie daran hindern, sich sozial-kommunikativ zu entwickeln. Zudem haben sie für Autist:nnen ein extrem hohes Suchtpotential. Das heißt, hier gegenzusteuern, ist noch mühsamer als es im Allgemeinen schon ist. Die Maßnahmen sind aber die gleichen, die sich auch sonst bereits bewährt haben. Der wohl wichtigste Faktor ist der eigene Umgang mit Bildschirmen. Die Eltern sollten selbst ein gutes Vorbild sein, den eigenen Bildschirmgebrauch reduzieren und aktiv an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen. Überhaupt sollten Sie soziale Tätigkeiten fördern, wie Spieleabende und Spielenachmittage oder gemeinsame Spaziergänge.
Entsprechend den Interessen und Fähigkeiten des Kindes können Sie nicht-digitale Alternativen (Basteln, Lesen, Spiele u. ä.) anbieten. Dies kann durch Belohnungen positiv verstärkt werden. Um nicht ständig einen Kampf führen zu müssen, ist die Gestaltung von Rahmenbedingungen für den „digitalen Konsum“ hilfreich: Achten Sie auf feste Tagesabläufe, die Bildschirmzeiten klar regeln und alternative Tätigkeiten einbeziehen sowie auf bildschirmfreie Zonen im Wohnbereich, in denen keine Bildschirme erlaubt sind. Empfehlenswert ist der Einsatz von Apps oder Funktionen, die die Bildschirmzeit begrenzen und den Zugang steuern.
Dr. Dr. Oskar Meggeneder
Sozial- und Gesundheitswissenschaftler und Autor dieser Buchrezension
Auch autistische Kinder entwickeln Interessen. Mögen diese auch ausgefallen sein, so sollten sie unbedingt in die Kommunikation mit einbezogen werden. Dies kann die Motivation zur Kommunikation fördern. Sowohl bei der nonverbalen als auch verbalen Kommunikation sind Geduld und Zeit die Schlüsselfaktoren.

Wie mit der „Sprachlosigkeit“ des autistischen Kindes umgehen?
Für viele Eltern ist es besonders bedrückend, dass die Kinder nicht sprechen. Hier gilt es, nicht zu resignieren und auch selbst nicht zu schweigen. Mit dem autistischen Kind muss unbedingt gesprochen werden – auch dann, wenn es anhaltend nicht darauf reagiert. Zwar ist es zumeist nicht schwierig, autistische Kinder dazu zu bringen, dass sie Wörter nachsprechen, aber das ist noch keine Kommunikation. Auch wenn man noch wenig darüber weiß, wann und wie sich die Sprache bei autistischen Kindern entwickelt, so folgt jede kommunikative Sprachentwicklung einem gleichen Muster. Grundsätzlich muss auch das autistische Kind zunächst in der Lage sein, sich nonverbal mitzuteilen. Daher ist zunächst diese Kommunikationsform zu fördern. Hierbei können unterstützende Kommunikationsmittel wie Bildkarten, Gebärden oder Kommunikations-Apps hilfreich sein.
Durchaus möglich ist es auch, dass das Kind ohnehin nonverbale Signale aussendet. Ein genaues Beobachten von Gesten, Mimik und Körperhaltung kann daher wichtige Hinweise auf die Bedürfnisse und Gefühle des Kindes liefern. Statt mündliche Anweisungen zu geben, sollten nonverbale Techniken eingesetzt werden. Diese muss die Bezugsperson meist selbst erst erlernen und üben, um in Folge auch besser auf die nonverbalen Signale des Kindes reagieren zu können. Nonverbale Signale zu deuten, ist zugegebenermaßen manchmal sehr schwer; auch deswegen, weil autistische Kinder nicht so „ticken“ wie andere Kinder. Bewegung, Laute und Mimik können die Aufmerksamkeit wecken und fesseln.
Schaffen Sie ebenso bei der nonverbalen Kommunikation mit dem Kind eine ruhige, stressfreie und reizarme Umgebung. Auch autistische Kinder entwickeln Interessen. Selbst wenn diese ausgefallen sein mögen, so sollten sie unbedingt in die Kommunikation mit einbezogen werden. Dies kann die Motivation zur Kommunikation fördern. Sowohl bei der nonverbalen als auch verbalen Kommunikation sind Geduld und Zeit die Schlüsselfaktoren. Geben Sie dem autistischen Kind Zeit, damit es reagieren oder antworten kann. Versuche des Kindes, zu kommunizieren – so klein sie auch sein mögen –, sollten immer positiv verstärkt werden. Dies ermutigt das Kind, weiter zu kommunizieren.
Ein wertvoller Ratgeber

Nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) gilt eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) als „tiefgreifende Entwicklungsstörung“. Es handelt sich dabei um eine komplexe Störung des zentralen Nervensystems, die über das gesamte Lebensalter anhält. Die größte Problemzone, die bereits im Kindesalter auftritt, ist dabei die Wahrnehmungsverarbeitung. Bei entsprechender Förderung kann es Betroffenen sehr gut gelingen, sich in das soziale Umfeld zu integrieren und ein ganz „normales“ Leben führen. Die Fördermaßnahmen sollten bereits im Kleinkindalter beginnen.
Vor kurzem ist die 5. Auflage eines, meines Erachtens überaus wertvollen und nützlichen, Ratgebers erschienen, der den Eltern eines autistischen Kindes wärmstens empfohlen werden kann.
Sibylle Janert: Autistischen Kindern Brücken bauen | Ein Elternratgeber | München 2024
https://www.reinhardt-verlag.de/55802_janert_autistischen_kindern_bruecken_bauen/
Diese Rezension wurde von Dr. Dr. Oskar Meggeneder verfasst.
Autistenhilfe OÖ: http://www.autistenhilfe-ooe.at/
Buchtipps Selbsthilfe OÖ: https://www.selbsthilfe-ooe.at/news_projekte/buchtipps/
FOTO: ADOBE STOCK |PIXABAY
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