Long COVID ME/CFS postvirale Erkrankung

Long COVID – wenn ein Spaziergang zu viel ist

Ein persönlicher Erfahrungsbericht über Long COVID für alle, die verstehen wollen, was die Erkrankung wirklich bedeutet. Es gibt Momente im Leben, die alles verändern – nicht laut und dramatisch, sondern leise und schleichend. Für mich war es eine Corona-Infektion. Kein schwerer Verlauf, kein Krankenhaus, nicht einmal hohes Fieber. Ich dachte, ich hätte Glück gehabt. Ein paar Tage im Bett – dann zurück ins Leben. Dachte ich. Doch das Leben, wie ich es kannte, kam nicht zurück.

Zuerst waren es Kleinigkeiten: Ich war nach kurzen Spaziergängen völlig erschöpft. Ich vergaß einfache Dinge, konnte mich kaum konzentrieren. Mein Herz begann bei kleinster Anstrengung zu rasen. Ich suchte Erklärungen – Stress, Nachwirkungen der Infektion, irgendwas. Aber es wurde nicht besser. Im Gegenteil: Mein Zustand verschlechterte sich. Ich konnte nicht mehr arbeiten, soziale Kontakte wurden zur Belastung, selbst Gespräche strengten mich an.

Ich war körperlich und geistig erschöpft. Ausgelaugt und extrem reizempfindlich. Nicht müde im üblichen Sinn, sondern krankhaft erschöpft – als ob jede Zelle meines Körpers gegen mich arbeitete. Long COVID heißt das Phänomen, das mich aus dem Leben gerissen hat. Eine Vielzahl von Symptomen überflutete mich: Dauerhafte Müdigkeit, die sich durch Schlaf nicht verbesserte. Einfache Gespräche führen? Plötzlich unmöglich. Hinzu kamen Kreislaufprobleme, Zittern, Herzrasen beim Aufstehen, Muskel- und Nervenschmerzen – manchmal wie Stromschläge …

Wie häufig ist Long COVID?

Long COVID betrifft laut internationalen Studien zehn bis 20 Prozent aller mit Corona Infizierten – das sind weltweit Millionen Menschen. In Österreich bedeutet das mehrere zehntausend Betroffene, von denen viele noch nicht offiziell erfasst sind. Long COVID ist keine psychosomatische Störung, sondern ein multisystemisches Krankheitsbild, das unter anderem das Immunsystem, die Gefäße und das Nervensystem betrifft. Die Symptome ähneln oft jenen von ME/CFS. In vielen Fällen geht Long COVID nahtlos in ein Vollbild von ME/CFS über. 

Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat Long COVID offiziell als eigenständige Erkrankung anerkannt und definiert sie als „Post-COVID-19-Zustand“. Das österreichische Gesundheitsministerium beschreibt Long COVID als gesundheitliche Langzeitfolgen nach einer COVID-19-Erkrankung.

chronisches Erschöpfungssyndrom

Endlich eine Diagnose

Erst Monate später – nach einer Odyssee durch ärztliche Praxen, MRTs, Bluttests und Ratlosigkeit – fiel das Wort, das mein Leben erklären sollte: ME/CFS. Eine Krankheit, die ich bis dahin nicht einmal kannte. Sie war die Erklärung für das, was ich durchlebte. Long COVID kann offenbar ein Auslöser für diese bisher kaum erforschte neuroimmunologische Erkrankung sein. Plötzlich hatte ich nicht nur Long COVID. Sondern es war auch der Beginn eines neuen Lebens, in dem kaum etwas noch selbstverständlich ist. Wie ein unsichtbarer Schnitt – ich bin jetzt ein Mensch mit einer chronischen Erkrankung. 

Was ist ME/CFS?

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere, chronische Erkrankung, die häufig nach Infektionen wie Epstein-Barr, Influenza – oder eben COVID-19 – auftritt. Es handelt sich um eine neuroimmunologische Systemerkrankung, die zahlreiche Körperfunktionen beeinträchtigt. ME/CFS ist biologisch messbar, etwa durch veränderte Hirndurchblutung, gestörte Energieproduktion in Zellen und autonome Dysfunktion. Das Leitsymptom ist die sogenannte „Post-Exertional Malaise“ (PEM) – umgangssprachlich auch „Crash“ genannt. Gemeint ist eine massive körperliche und geistige Verschlechterung nach Anstrengung, die oft erst mit Verzögerung auftritt und Tage bis Wochen anhalten kann.

Weitere Symptome:

  • Krankhafte Erschöpfung (Fatigue), die durch Ruhe nicht besser wird
  • Kognitive Störungen („Brain Fog“) – Konzentrationsprobleme, Gedächtnislücken
  • Kreislaufprobleme, Tachykardie, Schwindel (orthostatische Intoleranz)
  • Muskel-, Gelenk- und Nervenschmerzen
  • Schlafstörungen, Reizempfindlichkeit (Licht, Geräusche)

In Österreich leiden laut der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS rund 25.000 Menschen daran – die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher.

Der Alltag – ein Leben auf Messers Schneide

Ein gewöhnlicher Tag beginnt für mich damit, meinen Energielevel einzuschätzen. Habe ich heute „70 Prozent“ meiner üblichen Belastbarkeit? Oder nur 30? Manchmal sind es auch null. Ich kann nicht mehr einfach planen, spontan sein oder „mal schnell etwas erledigen“. Jede Tätigkeit – vom Aufstehen über das Duschen bis zu einem Telefonat – kostet Energie. Und wenn ich es übertreibe, kommt der „Crash“. Dann liege ich tagelang im abgedunkelten Zimmer, mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrasen, Muskelschmerzen – und dem Gefühl, aus dem eigenen Körper verbannt zu sein.

Was mich besonders belastet, ist das Unverständnis. Ich sehe gesund aus – aber ich bin schwer krank. Ich habe keine sichtbare Wunde, keine Gehhilfe, keine Diagnose auf einem Attest, das allen sofort erklärt, warum ich nicht kann. Ich muss mich rechtfertigen – immer wieder. Und das ist fast genauso zermürbend wie die Krankheit selbst. ME/CFS ist keine psychosomatische Erkrankung, auch wenn das viele noch glauben. Sie ist biologisch messbar, schwer belastend – und leider bisher kaum therapierbar.

Wie sich mein Leben verändert hat

Ich war ein Mensch, der gerne gearbeitet hat, der Sport gemacht hat, der mit Vergnügen gereist ist. Jetzt bin ich eine Person, die ihren Tag im Halbdunkel verbringt, oft im Liegen. Ich lebe im „Energiesparmodus“. Freund:innen verlieren sich, der Kontakt zu Kolleg:innen ist abgebrochen, und selbst meine Familie tut sich oft schwer, zu verstehen, was mit mir los ist. 

Ein Spaziergang kann mich für Tage außer Gefecht setzen. Stell dir vor, dein Körper stürzt nach zehn Minuten Spazierengehen in ein tagelanges „Shutdown“. Willkommen in der Welt von Long COVID und ME/CFS.

TROTZDEM: 
„Ich habe gelernt, mich neu zu organisieren. Ich versuche, die kleinen Dinge zu feiern – einen guten Tag, einen Moment klaren Denkens, eine halbe Stunde draußen im Garten. Ich bin gezwungen, langsamer zu leben – aber manchmal erkenne ich in dieser Entschleunigung auch eine neue Form der Achtsamkeit. 
Was mir fehlt, ist nicht nur Kraft. Ich vermisse medizinische Unterstützung, gesellschaftliches Verständnis und politische Anerkennung.

Ich weiß nicht, ob ich je wieder gesund werde

Aber ich weiß, dass ich nicht aufgebe. Und ich weiß, dass ich nicht allein bin. Wir sind viele. Und wir verdienen Aufmerksamkeit, Forschung und medizinische Hilfe – nicht irgendwann, sondern jetzt. Ich weiß nicht, ob ich je wieder gesund werde. Aber ich wünsche mir, dass ich eines Tages sagen kann: „Damals hat sich endlich etwas verändert.“ Für mich. Für alle, die es trifft.

Was muss sich ändern?

Expert:innen betonen die Notwendigkeit einer umfassenden Aus- und Fortbildung der Ärzt:innen im Umgang mit Long COVID und ME/CFS. Dies ist entscheidend, um eine adäquate Versorgung der Betroffenen sicherzustellen und die Erkrankungen korrekt zu diagnostizieren und zu behandeln. 

Forderungen der Patient:innenverbände:

  • Ausbau spezialisierter Ambulanzen und Rehabilitationseinrichtungen
  • Zugang zu Pflegegeld und Anerkennung derErwerbsunfähigkeit
  • Österreichweite Aufklärungskampagnen
  • Mehr Forschungsgelder (z. B. auf EU-Ebene) 
  • u.v.m.

ME/CFS ist in Österreich medizinisch als chronische Erkrankung anerkannt, jedoch besteht keine automatische Anerkennung als Behinderung im rechtlichen Sinne. Betroffene müssen individuelle Verfahren durchlaufen, um eine entsprechende Einstufung zu erhalten. Um die soziale Absicherung für Betroffene zu verbessern setzen sich Organisationen wie z. B die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS dafür ein, dass die Erkrankung in die Einschätzungsverordnung aufgenommen wird. 

Im September 2024 wurde an der Medizinischen Universität Wien ein Nationales Referenzzentrum für postvirale Syndrome, einschließlich ME/CFS, eingerichtet. Es dient der Versorgungsforschung und der Schulung von Gesundheitspersonal. 

Seit Februar 2024 dokumentiert das ME/CFS Research Register erstmals alle ME/CFS-Forschungsprojekte in Deutschland und Österreich seit 2019. Es bietet einen umfassenden Überblick über die Forschungslandschaft und wird kontinuierlich aktualisiert.

Was du tun kannst – als Freund:in, Kolleg:in, Mensch

Man muss nicht Ärzt:in oder Politiker:in: sein, um zu helfen. Es reicht oft schon, zuzuhören, zu glauben, und nicht zu werten. Menschen mit Long COVID oder ME/CFS brauchen keine Ratschläge wie „Reiß dich zusammen“ oder „Geh mal wieder raus“. Sie brauchen Mitgefühl, Verständnis, und das Wissen, nicht allein zu sein. 

Das Schlimme an dieser Krankheit ist nicht nur die Schwäche – sondern das Gefühl, unsichtbar zu sein.

Wenn du diesen Text weiterverbreiten möchtest: Bitte tu es. Je mehr Menschen verstehen, was Long COVID und ME/CFS bedeuten, desto mehr können wir gemeinsam verändern.

Quellen und weiterführende Links:

GEMEINSAM: Der Selbsthilfe.Podcast – #7 Postvirale Erkrankungen: 
Christoph und Linnea von der Selbsthilfegruppe Long COVID OÖ leben beide mit Long COVID bzw. ME/CFS und gewähren uns persönliche Einblicke in ihren Alltag, ihren Weg durch verschiedenste Therapieversuche – und sie berichten eindrücklich davon, wie viel Kraft, Geduld und Hoffnung es braucht, um sich Schritt für Schritt zurück ins Leben zu kämpfen: https://www.selbsthilfe-ooe.at/podcasts/gemeinsam/#podcast7

UN:LOCKJU – Verein für Sichtbarkeit von an Long COVID und ME/CFS erkrankten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in OÖ: https://www.unlockju.at/

Betroffeneninitiative ME/CFS Oberösterreich: www.ooe-mecfs.at

Selbsthilfegruppen in OÖ (ME/CFS oder Long COVID ins Suchregister eingeben): https://www.selbsthilfe-ooe.at/selbsthilfegruppen

Österreichische Gesellschaft für ME/CFS: https://www.mecfs.at

Long COVID Austria: https://longcovidaustria.at/

Post-Covid-Betroffene kämpfen um Anerkennung | ZIB2 vom 07.05.2025: https://on.orf.at/video/14275086/15875663/post-covid-betroffene-kaempfen-um-anerkennung-zib-2-vom-07052025

Sozialministerium Österreich – Long COVID Infos: https://www.sozialministerium.gv.at/Themen/Gesundheit/Corona/long-covid.html

Referenzzentrum für postvirale Syndrome der Medizinischen Universität Wien: https://www.meduniwien.ac.at/web/referenzzentrum-postvirale-syndrome/ 

ME/CFS Research Register: https://mecfs-research.org/researchupdate/

FOTOS: Pixabay | AdobeStock

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