Alltag mit einem autistischen Kind, unserem Sohn Max

„In seinem Element“: Buch über den Alltag mit einem autistischen Kind

Behinderte Kinder bekommen andere, dachte Birgit Kubik immer, bis sie mit der Geburt ihres ersten Sohnes zur anderen wurde. „In seinem Element“, so der Titel ihres Buches über den ganz normal-verrückten Alltag mit einem autistischen Kind. Offen und authentisch erzählt sie über ihr Leben mit ihrem behinderten Sohn Max.

„In Maxʼ Bauplan hat sich ein Fehler eingeschlichen.“ Mit diesem Satz erklärte ein Arzt Birgit Kubik und ihrem Mann Michael, warum ihr Sohn Autist ist, verbunden mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und auch einer körperlichen Beeinträchtigung. Max hat ihr Leben „ver-rückt“ – und das ihrer Familie. 

In beeindruckender Offenheit schildert die Autorin, wie sie und ihr Mann nach und nach erfahren, warum ihr erstes Kind anders – besonders – ist und davon, was es heißt, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen von der Geburt bis zur Volljährigkeit zu begleiten. Sie erzählt vom langsamen Anerkennen des Andersseins, von Diagnosen, Therapien, Meilensteinen in Max‘ Entwicklung, Glücksmomenten des Familienlebens, kreativen Lösungen und lustigen oder berührenden Episoden. Sie verschweigt aber auch nicht, wie anstrengend der Alltag, das ständige Verfügbarsein ist, wie wichtig ein funktionierendes soziales Netzwerk. Und wie notwendig es ist, zu lernen, kostbaren Freiraum auch bewusst zu genießen. 

Leseprobe „In seinem Element“: Alltag mit einem autistischen Kind

MAX IST DA! Da liegt er, unser Sohn. Natürlich der hübscheste Junge. Und so klein und zart mit seinen 44 Zentimetern und nicht ganz zwei Kilogramm. Maxi liegt im warmen Brutkasten, einem Inkubator. Versehen mit ein paar Kabeln zur Überwachung der Herztöne und des Sauerstoffgehalts schläft er ruhig. Der Inkubator wirkt befremdlich, aber Max’ friedlicher Gesichtsausdruck tröstet mich. Es scheint ihm gut zu gehen. Der Primar kommt zu uns: „Ihr Max ist ein starkes Kerlchen. Die Geburt war mit so vielen Komplikationen verbunden, dass es ein Wunder ist, dass er überlebt hat.“ Diese Aussage schockiert uns. Wir wussten nicht, dass es eine lebensgefährliche Situation für Max war. Aber wir sind auch erleichtert und freuen uns. Und wir sind stolz auf unseren tapferen Sohn. Dennoch drängt sich immer wieder die eine oder andere Sorge dazwischen. 

Mit nicht einmal drei Wochen hat Maxi seine erste herznahe Operation. Wir atmen auf, als wir hören, dass alles gut gegangen ist. Nur drei Tage später wird das kleine Kerlchen an derselben Stelle wieder aufgeschnitten. Die Herz-Lungen-Maschine steht bereit. Max benötigt drei Blutkonserven. Nach fünf langen und bangen Wochen dürfen wir nach Hause. In einer Woche wäre sein ursprünglicher Geburtstermin. Wie anders ist doch alles gekommen. Maxi hat fast sein Geburtsgewicht erreicht. Endlich können wir unsere Willkommenskarten verschicken. Statt des üblichen „Hallo, hier bin ich“ gibt es Karten mit „Endlich zuhause! Danke fürs Daumendrücken.“

DANKBARES UMDENKEN! Das Leben mit Max bringt mich zwangsläufig zum Umdenken. Ich nehme Dinge, Situationen und vor allem Leute anders wahr als früher. Ich blicke viel öfter dorthin, wo ich früher weggesehen hätte. Ich komme mit Menschen ins Reden, mit denen ich sonst nie ein Gespräch begonnen hätte. Ich erfahre Lebensgeschichten, die ich nie zu hören bekommen hätte. Und ich entdecke meinen Respekt und meine Bewunderung für jene, die es nicht so leicht im Leben haben. 

MAX MACHT KEINEN UNTERSCHIED – egal ob groß oder klein, jung oder alt, reich oder arm, schick, alternativ oder hip, konservativ oder tätowiert und gepierct … Er spricht alle Menschen an und alle stehen Rede und Antwort. Diese hohe Trefferquote lässt in mir eine Vermutung aufkeimen: Er scannt vorab die Person und testet: „Ist sie bereit für mich?“ All jene, die diesen Test nicht bestehen, lässt er außen vor. So erkläre ich mir die hohe Erfolgsquote. Ich denke, das ist seiner für viele Autist:innen typischen Fähigkeit zuzuschreiben, winzige Details wahrzunehmen und mitunter deuten zu können. 

Jene, die den Test bestehen, werden in Anspruch genommen. Sie lassen es zu, ja, sie freuen sich darüber. Oft zeigen sie die Freude, indem sie Max beschenken: Eine Extra-Portion Milchschaum hier, eine besonders große Eiskugel da, dort ein Wurstradl, da ein Säckchen Gummibärchen. Max rührt sie mit seiner eigenwilligen Art und berührt sie – manchmal auch physisch –, meist aber vor allem emotional. Er wärmt ihre Herzen, er wärmt unsere Herzen.

IN SEINEM ELEMENT! Max kennt keine Traurigkeit in unserem Sinn. Er ist nicht traurig, wenn jemand wegfährt, wenn jemand schwer krank ist oder stirbt. Max findet auch nicht etwas lustig, so wie wir es empfinden. Wenn man einen Witz macht, muss man ihm erklären, dass das ein Witz war. „Was ist ein Witz?“ „Wenn man etwas sagt, das nicht stimmt, und glaubt, das ist lustig.“ Ein Grinser oder ein herzhafter Lacher kommt ihm nur aus, wenn er etwas angestellt hat oder jemandem etwas passiert ist. Wenn Max lacht, schrillen bei uns die Alarmglocken!

DIE GEBURTSTAGSPARTY BEGINNT! Nach Kaffee und Kuchen kommt die Geschenkübergabe. Dazu müssen wir uns aufstellen, Max holt seinen MusicMan, klickt sich zu seinem gewünschten Lied und schon tönt es lautstark durch die ganze Siedlung: „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien …“ Und obwohl ich das Lied nicht mehr hören kann, weil er es zur Einstimmung auf seinen Geburtstag seit Wochen hundertmal täglich hört, bin ich doch jedes Mal gerührt, wenn wir es gemeinsam singen. 

Oft muss ich mit Max schimpfen und oft raubt er mir den letzten Nerv, aber in so einem Moment, wo er voller Freude in der Mitte unserer Großfamilie singt und springt, jauchzt und sich freut, überkommt mich eine Welle des Glücks und der Dankbarkeit. Sie schnürt mir die Kehle zu und ich kann deshalb nur leise, aber von Herzen meinend, mitsummen: „Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst.“

Oscarverdächtig!

„Es ist unvergleichlich schwieriger, ein autistisches Kind auf seinem Lebensweg zu begleiten und zu erziehen als ein neurophysiologisch unauffälliges Kind. Ich habe große Hochachtung vor allen Eltern und ihren Großfamilien, die ein entwicklungsbeeinträchtigtes Kind mit emporbildendem Verständnis und unendlich viel Liebe auf ihrem Lebensweg begleiten. Diese Familien sind Botschafter:innen der Liebe in einer Zeit, in der Egoismus und das Kreisen um die eigenen, dagegen oft sehr kleinen, Probleme im Mittelpunkt stehen. Jede dieser Familien ist oscarverdächtig! 

Wenn ich könnte, würde ich all diesen Familien persönlich den Oscar überreichen als Wertschätzung für ihren Dienst an ihrem Kind und an der Gesellschaft. So auch der Autorin dieses Buches, Birgit Kubik, und ihrer Familie“, schreibt MRin Dr.in med. Manuela Baumgartner, Leiterin der Ambulanz für Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, im Vorwort des Buches.

Mag.a Birgit Kubik, 

geboren 1970, lebt mit ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Söhnen in Enns. Die Betriebswirtin leitete zehn Jahre lang die Selbsthilfegruppe „Eltern mit behinderten Kindern“ in Enns und ist seit vielen Jahren im Bereich Marketing tätig. Sie hat 2023 ihre Erfahrungen aus dem Alltag mit autistischem Kind in einem Buch verfasst.

In seinem Element – Leben mit unserem autistischen Sohn Max

Weitere Infos zum Buch

 

Da Max eine sehr breite Palette an Herausforderungen abdeckt, kann dieses Buch für betroffene Eltern sehr hilfreich sein: https://www.tyroliaverlag.at/item/In_seinem_Element/Birgit_Kubik?isbn=9783702241360

Der ORF-OÖ hat in „OÖ heute“ einen Betrag gebracht. Das Reel auf FB ist noch als kleiner Ausschnitt des Beitrags „Aus dem Alltag mit einem autistischen Kind“ aktiv: https://www.facebook.com/reel/32880777614763

Selbsthilfegruppen in OÖ: https://www.selbsthilfe-ooe.at/selbsthilfegruppen/selbsthilfegruppe_finden/

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