Stotternden Menschen fällt es schwer Wörter flüssig auszusprechen.

Stotternde sind nicht allein!

Stotternden Menschen fällt es schwer Wörter flüssig auszusprechen. Das verursacht in den Betroffenen viel mehr Leid, als allgemein bekannt ist. Neben den wahrnehmbaren Symptomen gibt es noch zahlreiche innere Symptome, die sich den Gesprächspartner:innen nicht sofort erschließen. Die Österreichische Selbsthilfe-Initiative Stottern (ÖSIS) unterstützt Betroffene in ganz Österreich.

Stottern (Balbuties) ist eine Redeflussstörung, die von der primären Symptomatik durch Wie-Wie-Wie-Wiederholungen, Ddeeeeeeehnungen und (B)—————Blockaden gekennzeichnet ist. Im Folgenden geht es um das sogenannte idiopathische Stottern. Dieses ist vom Stottern mit bekannter psychischer oder physischer Ursache oder dem erworbenen Stottern, z. B. durch Gehirnverletzungen, abzugrenzen. Das idiopathische Stottern basiert nicht oder nicht nur auf einer motorischen Fehlfunktion, sondern beruht auch auf einer anderen Verarbeitungsstruktur des Gehirns bei stotternden Menschen. Die Veranlagung zum Stottern kann vererbt werden (das Stottern hingegen nicht), weswegen Stottern in Familien gehäuft auftritt. Über die Auslöser weiß man bislang aber noch (zu) wenig.

Meist tritt das Stottern in der frühen Kindheit auf. Bei vielen Kindern verliert sich diese Symptomatik vor der Pubertät wieder von selbst. Bei einem kleinen Teil (ca. zwei Prozent eines Jahrgangs) bleibt das Stottern aber bestehen. Ihr persistierendes Stottern gilt im Allgemeinen nicht als komplett heilbar (im Sinne der Beseitigung der Ursache). Es ist aber in allen Lebensaltersstufen therapierbar (im Sinne des Verringerns der Symptomatik oder der Auswirkung der Symptomatik auf die/den Betroffene/n).

Sekundäre Symptomatik

Neben der oben beschriebenen primären Symptomatik (Wiederholungen, Dehnungen und Blockaden) existiert nach individueller Bewusstwerdung schnell eine sekundäre Symptomatik. Diese lässt sich in zwei Teile gliedern: einen hör- oder sichtbaren und einen von den Gesprächspartner:innen nicht direkt wahrnehmbaren Teil.

Zum hör- oder sichtbaren Teil gehören das Vermeiden gewisser angstbesetzter Laute durch Austauschen von Worten oder Umstellen von Satzteilen oder ganzer Sätze. Oder „äh das äh äh —“ Einbauen von „äh äh äh“-Füllwörtern oder von Pausen. Auch das Abwenden des Blickkontakts oder das sogenannte Grimmassieren (= übertriebene Gesichtsbewegungen) kann Teil sein. Ebenso das Einbauen von Ticks und Bewegungen des Körpers, die vielleicht anfangs als Starter noch scheinbar geholfen hatten und sich gerne verselbstständigen und sich nach Verfestigung nur noch schlecht einfangen lassen.

Beim nicht wahrnehmbaren Teil der sekundären Symptomatik handelt sich um negative Gefühle, Gedanken und Einstellungen, die als Reaktion auf das eigene Stottern allmählich in den Betroffenen entstehen. Sie können sich manifestieren, wenn nicht gegengesteuert wird. Hierzu zählen etwa Ängste, bestimmte Laute auszusprechen und/oder in sozialen Situationen zu stottern (also zu versagen), selbstgewählter Rückzug bis hin zur sozialen Isolation, Frustration, Schamgefühle, niedriges Selbstwertgefühl, die Furcht, ein mögliches Opfer von Mobbing zu sein (besonders bei Kindern) oder das albtraumhafte Gefühl des „Kontrollverlusts“.

Mit der Zeit kann ein wiederkehrendes Erleben von schlechten Sprech-Erfahrungen zu einem negativen Selbstverständnis und Selbstbild führen. Zudem projizieren Stotternde möglicherweise ihre eigenen negativen Einstellungen auf Gesprächspartner:innen und Außenstehende, indem sie denken, andere halten sie für nervös oder dumm. Diese negativen Gefühle und Einstellungen liegen häufig im Hauptfokus bei der Behandlung. Dies ist auch das Haupt-Arbeitsgebiet in den Seminaren der ÖSIS und in den Selbsthilfegruppen 

Stottern erzeugt inneren Druck

Oft wird die gesamte Symptomatik mit einer Analogie zu einem Eisberg beschrieben: mit den unmittelbar hör- und sichtbaren Symptomen des Stotterns über der Wasserlinie und einer weit größeren Menge an inneren Symptomen unter der Wasseroberfläche. 

Viele Menschen, die stottern, berichten von hohen emotionalen Kosten wie z. B., dass man in der Schule so getan hat, die richtige Antwort nach dem Aufgerufenwerden durch die Lehrer:innen nicht zu wissen, nur, weil man selbst glaubte, das Wort (gerade) nicht aussprechen zu können und nicht schon wieder vor der ganzen Klasse stottern wollte. Im Erwachsenenalter wird oft von weiteren, selbst auferlegten Einschränkungen berichtet, wie beispielsweise die Bevorzugung von Berufen mit geringem Sprechanteil.

Die ÖSIS und was wir tun

Die Österreichische Selbsthilfe-Initiative Stottern (ÖSIS) wurde 1990 von Betroffenen in Innsbruck gegründet. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, das Tabu des Stotterns in der Öffentlichkeit zu durchbrechen und für eine positive Gesprächsgrundlage zwischen Betroffenen, Angehörigen, Therapeut:innen und Nichtstotternden zu sorgen. Durch Informationsangebote sollen Wissensdefizite abgedeckt und durch Seminare und Weiterbildung neue Erkenntnisse verbreitet werden. Ihr Büro betreibt die Initiative in Innsbruck. Dort werden die Vereinsgeschäfte organisiert, Broschüren zum Thema Stottern verschickt, es findet Publikumsverkehr und Beratung statt. Zudem bearbeitet das Team redaktionell die Mitgliedszeitschrift „dialog“ und die Vereins-Website „www.oesis.at“.

Jährlich werden mehrere Seminare für Betroffene und Interessierte organisiert und durchgeführt, wie z. B. das Feriencamp für stotternde Kinder und Jugendliche am Attersee oder das Seminar zu den „Säulen des flüssigen Sprechens“, einer methodenkombinierenden Therapie, die zwei betroffene ÖSIS-Mitglieder erarbeitet haben. Zum Welttag des Stotterns (jedes Jahr am 22. Oktober) werden österreichweite Aktionen koordiniert. Hierzu gehört z. B. die Durchführung einer Informationsveranstaltung, um über die Situation von Menschen mit Redeflussstörungen aufzuklären. Aktive Selbsthilfegruppen der ÖSIS gibt es derzeit in Linz, Salzburg, Graz, Innsbruck, Dornbirn und Wien. 

Linzer Selbsthilfegruppe für Stotternde

Die Linzer Selbsthilfegruppe (die einzige für Stotternde in OÖ) ist ein langjähriges Mitglied im Dachverband Selbsthilfe OÖ. Die Treffen finden immer am ersten Dienstag im Monat um 18:30 Uhr im Gesundheitszentrum der Österreichischen Gesundheitskasse (Garnisonstraße 1 a/2 Linz). Die Gruppe bietet einen geschützten Raum für Reflexion über das eigene Stottern. Die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig dabei, untereinander Wissen zum Thema Bewältigung des Stotterns auszutauschen und hilfreiche, bewusste Sprech-Techniken „im Schonraum“ zu üben. Auch Biografie-Arbeit ist uns wichtig und darf nicht zu kurz kommen: Neulinge profitieren von der Erfahrung der langjährigen Mitglieder.

20 Jahre Vereinsmitgliedschaft Obmann Thomas Kupetz und 70. Geburtstag Kassier Mag. Reinhard Wieser

Unsere Gruppenarbeit steht nicht im Widerspruch zu den großen anerkannten Stotter-Therapien (wie z. B. Sprechmodifikation, Stottermodifikation). „Die Gruppe“ ermutigt aber auch, den internen Schonraum zu verlassen und sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und dabei zu erfahren, dass man sich mit dem eigenen Stottern auch ganz selbstbewusst präsentieren kann. So haben wir schon in mehreren Städten „stotternde Stadtführungen“ durchgeführt, bei denen Mitglieder freiwillig in bewusster, auffälliger Sprechweise Sehenswürdigkeiten halböffentlich auf der Straße vorstellen. Gruppendynamische Prozesse helfen dabei, solche Situationen zu meistern und über den eigenen Schatten zu springen.

Als Selbsthilfegruppe sind wir offen für Betroffene aller Lebensaltersstufen und jeglicher Schweregrade, denn die psychische oder emotionale Betroffenheit der/des Einzelnen muss nicht mit einer höheren Symptomrate einhergehen. Wir sind aber auch offen für Eltern von stotternden (Klein-)Kindern, Lehrpersonal stotternder Schüler:innen oder anderweitig betroffene Menschen, wie z. B. Angehörige.

Infos und Kontakt:

Mehr Informationen zum Stottern unter: https://oesis.at/

ÖSIS Selbsthilfegruppe Stottern in Linz: Gruppentreffen am ersten Dienstag im Monat um 18:30 Uhr, ÖGK Gesundheitszentrum, Garnisonstraße 1 a / 2. Stock, 4021 Linz

Kontakt: Thomas Kupetz | Obman ÖSIS, Tel.: 0699 10081093
E-Mail: thomas.kupetz@stotternetz.at

Wir danken den Gastautor:innen Lisa Bauernfeind und Michael Braun für den informativen Beitrag.

Fotos: ÖSIS und Adobe Stock

 

 

Expert:innenrunde zum Thema Stottern (Barmherzige Brüder Linz): https://www.youtube.com/watch?v=PrGNr-pAe2g

Weitere Selbsthilfegruppen in OÖ: https://www.selbsthilfe-ooe.at/selbsthilfegruppen/

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